Predigt am 18. Sonntag nach Trinitatis

Jakobus 2, 1-13

1 Liebe Geschwister, haltet den Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn der Herrlichkeit, frei von allem Ansehen der Person. 2 Denn wenn in eure Versammlung ein Mann käme mit einem goldenen Ring und in herrlicher Kleidung, es käme aber auch ein Armer in unsauberer Kleidung, 3 und ihr sähet auf den, der herrlich gekleidet ist, und würdet zu ihm sagen: Setze du dich hierher auf den guten Platz!, zu dem Armen aber: Stell du dich dahinten!, oder: hocke dich unten zu meinen Füßen!, 4 ist das recht, dass ihr solche Unterschiede bei euch macht und urteilt mit bösen Gedanken?
5 Hört zu! Hat Gott nicht die Armen in der Welt erwählt, die im Glauben reich und Erben jenes Reichs sind, das er denen verheißen hat, die ihn lieb haben? 6 Ihr aber habt dem Armen Unehre angetan. Sind es nicht die Reichen, die Gewalt gegen euch üben und euch vor Gericht ziehen? 7 Verlästern sie nicht den guten Namen, der über euch genannt ist? 8 Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«, so tut ihr recht. 9 Wenn ihr aber die Person anseht, tut ihr Sünde. 10 Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot, der ist am ganzen Gesetz schuldig. 12 Redet und handelt so wie Leute, die durchs Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen. 13 Denn es wird ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat; Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht.


Liebe Gemeinde
Stellen Sie sich vor, wir hätten Besuch: ein Obdachloser würde sich hier in unsere Kirche verirren, vielleicht weil es wärmer ist als draußen, wo es langsam kalt wird. Gerade dann, wenn wir unseren Gottesdienst zu feiern beginnen. Er würde seine sieben Sachen ausbreiten und der Geruch der Straße würde durch den Raum strömen, vermischt mit der Fahne von übermäßigem Bierkonsum. Wie würden Sie reagieren, wenn er sich hinter Sie setzen würde? Würden sie die Nase rümpfen? Sich wegsetzen von der Quelle des durchdringenden Geruchs? Zumindest würde ein solcher Gast doch unsere Andacht stören, eine lebendige Irritation in unserer Mitte. Wohl niemand würde den unangemeldeten Besucher begrüßen, oder irre ich mich da? Unser Predigttext hat mit einem ähnlichen Problem zu tun.

Vier Dinge scheinen wichtig zu sein: Dass Gott kein Ansehen der Person kennt, dass er Partei für die Armen nimmt, dass wir den Armen auf Augenhöhe begegnen sollen und zum Schluss, dass Barmherzigkeit über das Gericht triumphiert. Jakobus wählt ein ähnliches Beispiel wie unseren eingangs vorgestellten Obdachlosen. Ein Armer und ein Reicher besuchen den Gottesdienst, und sie werden sehr unterschiedlich behandelt. Dem Armen wird ein Platz in der Ecke zugewiesen, der Reiche aber wird mit dem Ehrenplatz bedacht.

Spontan würde jeder sagen: das geht gar nicht! Aber wie sieht das denn bei uns so aus? Wenn eine besondere Veranstaltung vorgesehen ist, ein Fest gefeiert wird, wird die erste Reihe selbstverständlich für die Ehrengäste reserviert. Oder hat schon mal jemand gesehen, dass der Landessuperintendent irgendwo hinten platziert wird, die allererste Reihe aber für Hinz und Kunz, also einfach für „Gemeindeglieder“ freigehalten wird? Besondere Menschen spielen auch eine besondere Rolle in unserem Gemeindeleben. Und Obdachlose passen einfach nicht in einen Gottesdienst. Oder?

Jakobus ermahnt uns allerdings, diese Praxis einmal zu überdenken. „Wenn ihr die Person anseht, tut ihr Sünde“, sagt er ganz lapidar. Nichts weniger als das Gebot der Nächstenliebe, das höchste Gebot, sieht er verletzt, wenn man sich in seinem Verhalten zu sehr danach richtet, mit wem man es zu tun hat. Wenn wir meinen, uns doch auch ein bisschen nach der Stellung oder dem Einkommen der Menschen richten zu müssen, dann ist das höchste Gebot in Gefahr.

Gott sieht die Menschen dagegen mit einem anderen Blick. Er urteilt nicht nach Äußerlichkeiten und sieht die Person nicht an, sei sie arm oder reich, sauber oder dreckig, schlau oder dumm, jung oder alt, Jude, Christ oder Moslem, sondern er sieht direkt ins Herz des Menschen. Geben wir also unsere Vorurteile auf, Menschen nach ihrem Äußeren, nach ihrer Kleidung zu beurteilen, und machen wir uns Gottes Perspektive zu eigen.

Aber Jakobus ermahnt uns nicht nur, die Person nicht anzusehen, er mutet uns sogar noch mehr zu: „Hört zu, meine lieben Geschwister“, schreibt Jakobus, „Hat nicht Gott die Armen in der Welt erwählt“? Wie kommt er darauf?

Nun. Die ersten Christen waren einfache Leute, Fischer waren viele der Jünger Jesu, und im römischen Reich waren es besonders Sklaven und Unterdrückte, die zum Glauben an Christus gefunden haben. Auch wenn es die Kirche sehr schnell geschafft hat, sich Reichtum zu erwerben und den auch ohne Scham zur Schau zu stellen. Wer sich einmal die Paläste der frühen Bischöfe auf dem Gebiet der heutigen Türkei ansieht, kann nur beschämt zu Boden blicken. Tatsächlich aber sollte es nicht nur eine Episode der Geschichte des Christentums sein, dass besonders Arme und Unterdrückte zum Glauben finden mögen, sondern Ausdruck des Willens Gottes.

Aus der Perspektive vieler Bauern in Ghana ist Reichtum an sich ein Vergehen, und rein in Gedanken könnten wir einen von ihnen sagen lassen: „…wenn der Jüngling reich war, dann hat er die anderen auch ausgebeutet und ihnen weggenommen, was ihnen gehörte“. Andere Antworten wären möglich. Etwa: „Es gibt keinen rechtmäßig erworbenen Reichtum, reich kann man nur werden, wenn man stiehlt. Die Reichen stehlen immer“. Vielleicht müssen wir es aushalten, hier einmal die Perspektive der Armen zu hören oder selbst zu denken. Alle Gebote hat der junge Mann nun wahrhaftig nicht eingehalten. Denn jemand, der einen Haufen Geld hat und den anderen doch nichts davon abgibt, hält eben die Gebote nicht.

Diese Aussagen machen deutlich, wie wenig Gott und Reichtum unter einen Hut zu bringen sind. Die Frage nach Arm und Reich ist nichts weniger als die Frage nach dem höchsten Gebot. Wie unwahrscheinlich ist es, dass einer, der den anderen nicht mit seinem Geld helfen will, seinen Nächsten liebt“!

Gemessen an den Maßstäben in Afrika sind wahrscheinlich wir alle hier samt und sonders reich. Und es kann durchaus sein, dass Arme nicht weit von uns sind. Es muss nicht gleich Obdachlosigkeit sein. Armut in Deutschland hat viele Gesichter. Wenn arm sein bedeutet, nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können gibt es viele Arme unter uns. Es gibt sie zuhauf. Selbst, wenn wir uns von einer Gemeinde, wie Jakobus sie beschreibt, distanzieren würden, so ist unsere Kirche doch eine Kirche der Reichen.

Sind wir das tatsächlich? Dabei hören wir doch immer wieder von schlechten Zeiten, die auch in der Kirche angebrochen seien. Ich höre das immer wieder bei den Sitzungen der Landeskirche, durch die icch mich hier und da durchquälen muss. Was für ein Gejammere dort über die ach so schlechten Zeiten.

Wir könnten darüber reden, dass in unserer Kirche – auch in unserer Gemeinde – die gut Verdienenden austreten um ein paar Euro zu sparen, aber andere für kirchliche Dienste am Rest der Familie bezahlen lassen. Oder von einer christlichen Partei, die es auch in Zeiten, in denen Fremde am helllichten Tag auf der Straße um ihr Leben fürchten müssen, nicht lassen kann, mit einer Ausländerdebatte Neid und Angst davor zu schüren, dass mittellose Zuwanderer uns Arbeit und Wohlstand wegnehmen, und das Stadtbild verschandeln. Oder von einer Gesellschaft in der Energiekonzerne ganze Landschaften einfach plattmachen und dabei auch Existenzen vernichten, nur damit der Kurs ihrer Aktien für reiche Anleger attraktiv bleibt. Und der Staat steht ihnen dabei hilfreich zur Seite. Oder von einem christlichen Dorf, dass um sein gewohntes schönes Dorfleben fürchtet und deshalb kein Heim für Flüchtlinge haben will.

Jesus hat bewusst die Gemeinschaft mit diesen Armen, den von der Gesellschaft Ausgestoßenen gesucht, den Zöllnern und Sündern. Sein Verhalten gegenüber diesen Armen stellt die Frage an uns, wie wir den Vernachlässigten unserer Gesellschaft begegnen. Den Ausgegrenzten auf dem Schulhof, den Nachbarn aus der Unterschicht, der alleinerziehenden Mutter, die verzweifelt bemüht ist, ihre Kinder an allem teilhaben zu lassen. Den zu uns gekommenen Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Afrika, die inzwischen nur noch als Problem angesehen werden und nicht mehr als Menschen, denen Schlimmes widerfahren ist, und die unseren Schutz und unsere Hilfe brauchen. Geben wir ihnen nur ab und zu gnädig ein Almosen unserer Aufmerksamkeit, oder sehen wir sie als gleichberechtigte Kinder Gottes, deren augenblickliche Armut ein himmelschreiendes Unrecht ist –das wir aber mithelfen können, zu ändern!

Der Verteilungskampf um die Sonnenseiten des Lebens findet auch in unserem Land statt und er geht auch uns Christen oft genug bis ins Denken und Glauben und bis ins Herz. Und deshalb gehören auch uns immer wieder einmal die Leviten gelesen, wie Jakobus das tut. Denn gerade hier tritt er ein, der Ernstfall des Evangeliums.

Der Ernstfall des Evangeliums von Jesus Christus, der gekommen ist um zu suchen und zu erlösen, was auf der Schattenseite des Lebens ist. Dorthin geht seine Barmherzigkeit und dort hat sie auch uns gefunden, uns, die wir uns christliche Gemeinde nennen. Barmherzigkeit ist die Grundbewegung des Evangeliums und sie führt Gott zu denen, die auf seine Barmherzigkeit warten. Das ist seine Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit des Gottes, der mit seiner Gnade im Recht ist. Von dieser Gnade leben wir.

Gut, wenn wir immer wieder daran erinnert werden, dass wir davon leben in Zeit und Ewigkeit und nicht von all dem, was wir oft so verzweifelt und hartherzig festhalten und verteidigen: Unser Geld, unser Recht, unser Ansehen, unsere Macht. Wir sollten immer bedenken, was unsere Vorfahren schon mahnten:
De Bäddelsack henget nich jümmer vör de glüiken Dür. – Der Bettelsack hängt nicht immer vor der gleichen Tür.
Amen

Spruch:
Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebt.

Eingangsgebet:
Gott,
wie leicht ist es, von Liebe zu reden, und wie schwer, sie zu praktizieren: friedlich mit Nahestehenden zu leben, mit Ungeschickten Geduld zu bewahren, Fremde in ihrer Eigenart zu achten, niemand zu beneiden um Glück und Erfolg.
Nimm weg, was der Liebe entgegensteht. Weite unser Herz für andere Menschen und lass aus Beteuerungen von Nächstenliebe liebevollen Umgang wachsen.

Lieder:
494, 1-3 „In Gottes Namen fang ich an“
397, 1-3 „Herzlich lieb hab ich dich, o Herr“
414, 1-4 „Lass mich o Herr in allen Dingen“
295, 1-4 „Wohl denen die da wandeln“

Schriftlesung: Markus 10, 17-27
17 Und als er sich auf den Weg machte, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben erbe? 18 Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein. 19 Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.« 20 Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf.
21 Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach! 22 Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.
23 Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! 24 Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist’s, ins Reich Gottes zu kommen! 25 Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.
26 Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden? 27 Jesus aber sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist’s unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.
Amen

Fürbittengebet:
Gott, ewige Liebe.
Wie schnell vergessen wir, dass du uns ein von Freude und Dank erfülltes Leben zugedacht hast. Wir kreisen um uns selbst und wittern hinter deinen Weisungen nur Unfreiheit und Enge. Kehre uns um. Wende uns wieder zu dir.
Schaffe uns neu durch deinen Geist. Reiße uns heraus aus aller Angst um unser eigenes Leben. Befreie uns durch deine Liebe zur Liebe, die dir vertraut und lehrt, uns selbst anzunehmen, und uns den Nächsten zugewendet hält.
Wir bitten für Kinder und Jugendliche in ihrer Suche nach Liebe, nach Annahme und Verständnis. Wir bitten für alle Paare, dass ihre Zuneigung im Alltag nicht versandet. Wir bitten um ein rücksichtsvolles Miteinander, um Wohlwollen und Offenheit, um viele Orte und Gelegenheiten, an denen befreiende Liebe erfahren wird.
Wir bitten für alle, die aus Mangel an Liebe nach Besitztümern, nach Macht oder Zerstreuung streben. Wir bitten für alle, die sich unerfüllt fühlen und der Sucht nach den Rausch nicht standhalten können. Wir bitten für alle, die sich in Selbstmitleid oder Verbitterung von anderen Menschen zurückziehen.
Wir bitten dich für uns selbst: Lass nicht zu, dass wir dir und der Kraft deiner Liebe misstrauen. Hol uns immer wieder zurück in deine Güte. Dein Erbarmen wende uns mit Zuversicht dem Leben zu.
Amen