Predigt am 2. Sonntag im Advent
Jesaja 35, 3-10
3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! 4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.« 5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. 6 Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. 7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. 8 Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. 9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. 10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.
Liebe Gemeinde,
Es ist Mittag. Die Sonne steht hoch am Himmel in einer kleinen Wüstenstadt irgendwo in Texas. In den Bahnhof rollt ein Zug ein. Die Dampflok schnauft die letzten Meter vor sich hin. Hinten im letzten Waggon auf der Plattform steht ein Mann mit einem langen schwarzen Mantel und hält die Hände in den Taschen. Er trägt einen Hut mit breiter Krempe und sein Gesicht liegt im Schatten.
Der Zug hält, der Mann verlässt die Plattform, geht auf den Bahnhof zu. Auf der staubigen Straße gegenüber warten drei Männer. Der Mann mit dem Hut geht langsam auf sie zu. Die Hände immer noch in den Taschen. Plötzlich zieht er seinen Colt und schießt. Drei mal. Die drei Männer liegen auf der Straße – alle tot. Dazu ertönt eine Melodie – von einem Mundharmonikaspieler.
Das ist der Anfang des Films „Spiel mir das Lied vom Tod.“ Dieser Film hat ganz viel mit unserem Predigttext von heute zu tun. Bevor wir dazu kommen, erzähle ich aber eben noch wie der Film weitergeht.
Der Mann mit dem Hut ist in die Stadt zurückgekehrt, in der er als kleiner Junge mit seinem Vater gewohnt hat. Er hat dort Schreckliches erleben müssen. In dieser Stadt gibt es einen Großgrundbesitzer namens Frank, der das Sagen hat und alle nach seiner Pfeife tanzen lässt. Und dieser Frank und seine Männer haben den Vater des kleinen Jungen von damals umgebracht – und zwar auf widerliche Weise. Sie haben ihm ein Seil um den Hals gebunden und ihn gehenkt. Aber nicht genug. Sie haben den Vater auf die Schultern des kleinen Jungen gestellt. Wenn er sich bewegen würde, dann würde der Vater runterfallen und sterben. Der kleine Junge hatte keine Chance. Er konnte den Tod seines Vaters nicht verhindern.Während dieser Szene ertönt eine Melodie, die den ganzen Film über begleitet.
Und jetzt ist der kleine Junge ein Mann geworden und zurückgekommen. Er hat nur noch eins im Sinn. Rache. Und so erschießt er gleich am Bahnhof die drei Helfer von Frank. Und im Laufe des Films weitere. Am Ende kommt es dann zum großen Showdown mit besagtem Frank. Dann stehen die beiden sich gegenüber und Frank – schon getroffen – versteht nicht wer das ist, der es da auf ihn abgesehen hat. Und warum. Und dann steckt der ehemals kleine Junge die gleiche Mundharmonika seinem Peiniger Frank in den Mund, die er ihm damals in den Mund gesteckt hat. Dazu wieder die Melodie. Und da versteht Frank. Aber das ist sein letzter Gedanke. Dann stirbt er.
Der Film endet mit dem Bild des Zuges vom Anfang, mit dem der Mann mit dem langen Mantel und dem Hut – sein Name wird nie genannt – die kleine Stadt in der Wüste wieder verlässt. Und dazu spielt wieder die Melodie.
Spiel mir das Lied vom Tod – ein Film über Rache. Kalte Rache – eine Rache, die sich über viele Jahre aufbaut, so wie bei dem kleinen Jungen, der zum Werkzeug gemacht wird, mit dem sein Vater ermordet wird. Eine Rache, die über viele Jahre wächst und ihn ganz ausfüllt – wahrscheinlich sogar am Leben hält.
Und jetzt zum Predigttext. Der eine Satz, der könnte wie für den Hauptdarsteller geschrieben sein. Für Menschen, die bitter unterdrückt werden und auf Vergeltung hoffen. „Saget den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen“.
Ein Gott der Rache. Das passt so gar nicht in unser Gottesbild vom liebenden und verzeihenden Gott. Aber es ist zutiefst menschlich. Die Menschen, denen Jesaja diesen Text sagt, waren im Exil, wurden von ihren Feinden nach Babylon verschleppt und haben unter dem Verlust ihrer Heimat und sicher auch der täglichen Unterdrückung ihrer neuen Herren gelitten. Auch sie werden sich nach Rache gesehnt haben.
Ein unbekannter Psalmbeter lässt sich zu folgender Klage hinreißen: An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Unsere Harfen hängten wir an die Weiden im Lande. Denn dort hießen uns singen, die uns gefangen hielten, und in unserm Heulen fröhlich sein. Wie könnten wir des HERRN Lied singen in fremdem Lande?
Und dann endet der Psalm mit diesen Worten: Tochter Babel, du Verwüsterin, wohl dem, der dir vergilt, was du uns getan hast! Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und sie am Felsen zerschmettert
Das Bedürfnis ist sicher verständlich. Da sie selber sich nicht wehren konnten, brauchten sie einen Rächer. So eine Art Supermann oder Terminator. Und was liegt da näher als den Wunsch nach Rache und das Bedürfnis nach Vergeltung auf Gott zu übertragen. Das – so könnte ich mir vorstellen – waren die Bedürfnisse der Menschen damals.
Jesaja nimmt diese Gefühle auf. Aber er bleibt nicht dabei stehen. Schließlich ist Gott kein Terminator. Eigentlich würde man nach der Einleitung erwarten, dass Jesaja ausmalt, wie Gottes Rache denn aussieht, wie er die Unterdrücker vernichtet und das eigene Volk am Ende als Sieger dasteht. Das hätte sicher den Bedürfnissen der Menschen von damals entsprochen. Aber Jesaja lässt sich in diesem Abschnitt nicht auf Rachephantasien ein, sondern malt eine Vision vom friedlichen Zusammenleben der Menschen ohne Leid und Not. Blinde sehen. Taube hören. Lahme springen. In der Wüste entspringt Wasser.
Jesaja beschreibt eine geheilte Welt. Eine Welt, die nicht auf Unterdrückung und Bedrohung aufgebaut ist, sondern auf heil sein. Mensch und Natur sind heil. Ein Leben ohne Angst und Gefahr.
Jetzt könnte man fragen, aber was passiert mit den Babyloniern? Die müssen doch erst weg sein, wenn das möglich sein soll. Jesaja sagt einfach, ihre Bedrohung wird nicht mehr da sein. Ob sie selber nicht mehr da sein werden, lässt er offen. In jedem Fall verzichtet er in diesem Abschnitt komplett auf Rachegelüste.
Jesaja hat da etwas erkannt, das grundlegend ist. Rache kann zwar mein Leben aufrechterhalten, kann mir eine ungeheure Kraft geben, aber es wird immer eine destruktive Kraft sein. Rache füllt eben nicht nachhaltig aus. Sie hält den Hass aufrecht, den man braucht, um seinem Peiniger gegenüberzutreten, sie gibt somit eine unglaubliche Energie. Aber was passiert dann?
Der Film „Spiel mir das Lied vom Tod“ endet mit der Szene, wo der Zug den Bahnhof verlässt. Aber was aus dem ehemals kleinen Jungen wird, der sich nun gerächt hat, erfahren wir nicht. Ich vermute mal, er wird erst dann gemerkt haben, wie kaputt er über all die Jahre innerlich geworden ist. Das Eis, auf dem er über Jahre gegangen ist, ist zusammengebrochen. Wer rächt, so verständlich und nachvollziehbar wir das auch finden mögen, wird nie heil werden. Denn er wird sich immer um das erlittene Unrecht drehen. Rache ist eben nicht heilsam.
Genau das ist der Unterschied zu der Rache Gottes, die Jesaja beschreibt. Sie beseitigt Unrecht, aber sie lebt nicht auf Kosten der Erniedrigung der anderen. Was wäre das auch für ein Himmel, den es nur gäbe, weil die anderen in der Hölle sitzen. Das ist nicht der Himmel, das Leben bei Gott, das ich mir für irgendwann erhoffe. Denn ein Himmel der auf der Hölle für die anderen aufbaut, ist nur eine Verlängerung der Verhältnisse hier auf der Erde.
Jesaja beschreibt ein komplettes Heil werden von Mensch und Natur. Aber bei ihm bleibt es eine Vision. Wie sie umgesetzt wird, bleibt offen. Wenn ich Jesajas Vision mit Gedanken aus dem neuen Testament anreichere, dann fällt mir als erstes das Stichwort Vergebung ein.
Geschehenes Unrecht kann sicher nie wieder gut im Sinne von „ungeschehen gemacht“ werden. Aber vergebenes Unrecht birgt für beide Seiten zumindest die Chance auf einen Neuanfang. Auf Versöhnung. Voraussetzung aber für Versöhnung ist das Teilen des Schmerzes. Schmerz teilen – Versöhnung – Heilung. Das wäre die Reihenfolge.
Wenn ich mir jetzt vorstelle Gott hätte in diesem Film Regie geführt – vielleicht wäre er dann anders ausgegangen. Der ehemals kleine Junge hätte Frank dann in eine Situation gebracht, aus der er von alleine nicht mehr heraus kann. Und dann hätte Frank sich erst mal erinnern müssen. Was war das noch mir dem kleinen Jungen damals. Aber nur erinnern reicht natürlich nicht. Auch verstehen, was er ihm da angetan hat. Aber nicht nur vom Kopf her, sondern aus tiefstem Gefühl. Der Schmerz dieses Mannes, der da so nach Rache sinnt, diesen Schmerz hätte Frank teilen müssen, nachempfinden, selber spüren. Die Aussichtslosigkeit der Situation des kleinen Jungen von damals. Erst dann wäre Versöhnung möglich. Vorher nicht!
Und genauso ist das auch zwischen Gott und uns Menschen. Gott ist auf die Welt gekommen und hat hier alles erlitten, was man nur erleiden kann, hat also den äußersten Schmerz eines Menschen geteilt. Und uns so mit sich versöhnt. Und deswegen beten wir Gott nicht als Gott der Rache an, sondern als einen, der Schmerzen teilt, versöhnt und heilt.
Und auch, wenn wir die Gefühle nach Rache jener nur zu gut verstehen, die Unrecht erlitten haben nur zu gut verstehen, soll es unter uns doch anders sein. Warum mit Gewalt, wenn es vielleicht auch mit Güte geht? Das wussten auch schon unsere Vorfahren, und sie drückten es so aus: Worümme Störm, wenn es met Piusten auk geuht? – Warum Sturm, wenn es mit Pusten auch geht?
Amen
Begrüßung:
Kopf einziehen und durch oder „Kopf hoch, wird schon wieder“ sagen wir – ein schwacher Trost. Wir sind meist sprachlos, wenn andere beschwert sind.
Gerade den Gebeugten und Niedergedrückten, den Zurückgewiesenen und Benachteiligten gilt die Frohe Botschaft: Haltet durch! Richtet euch auf, denn Gott sieht die Bedrängnis und hört das Klagen. Auch wenn es nicht so scheint: Wer auf Erlösung wartet, hofft nicht vergeblich. Wie der Frühling auf den harten Winter folgt und die Ernte auf die Saat, so wird der Sehnsucht nach Gott sein Kommen folgen. Darum: Kopf hoch, damit ihr ihn kommen seht. Der Zweite Advent spricht von einem umwälzenden Befreiungsgeschehen. Die Wiederkunft Jesu wird nicht unbemerkt bleiben. Sie wird uns erschrecken, aber nicht zum Fürchten sein. Wer beharrlich mit seiner kleinen Kraft nach Gott Ausschau hält, den wird er nicht enttäuschen.
Spruch:
Seht auf und erhebt eure Häupter, weil eure Erlösung naht. (Lukas 21,28)
Gebet
Barmherziger Gott,
es brennt die zweite Kerze der Hoffnung. Wir wissen, du willst die Welt nicht lassen, wie sie ist. Du willst, dass den Gequälten Gerechtigkeit widerfährt. Du willst, dass die in Frieden leben können, denen Krieg diktiert wurde.
Hilf, dass wir geduldig das Feuer der Veränderung in dieser Welt immer wieder neu entfachen.
Amen.
Lieder:
16, 1-5 „Die Nacht ist vorgedrungen“
9, 1-4 „Nun jauchzet all ihr Frommen“
538, 1-4 „Tragt in die Welt nun ein Licht“
17, 1-2 „Wir sagen euch an den lieben Advent“
Schriftlesung: Jakobus 5, 7-8
7 Wartet geduldig, Brüder und Schwestern, bis der Herr wiederkommt.
Seht, wie der Bauer auf die kostbare Frucht der Erde wartet: Er wartet geduldig, bis der Frühregen und der Spätregen gefallen sind.
8 So seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen, denn das Kommen des Herrn steht bevor.
Fürbittengebet:
Gefangen in den vielen Anforderungen des Alltags, bemüht um Liebe und Anerkennung, aber auch getrieben von Sorge, doch zu verlieren, was uns wichtig ist:
So leben wir oft in kräftezehrender Anspannung, und der Blick reicht kaum noch über die kleine eigene Welt hinaus.
Gott, ruf uns aus der ständigen Mühe, uns und anderen unseren Wert zu beweisen! Nimm uns die Angst, abzustürzen ins Nichts.
Belebe unser Vertrauen zu dir. Weite unser Herz in Erwartung des kommenden Christus, der ohne Bedingung Ja zu uns sagt.
Amen